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Aufklärung - Selbstmanagement – Empowerment für Kinder und Jugendliche mit seltenen chronischen Stoffwechselerkrankungen
Hintergrund
Die Behandlung chronisch kranker Kinder mit Stoffwechselstörungen erfordert eine maximale Sorgfalt und Disziplin in der Einhaltung der Diätvorschriften mit z.B. grammgenauem Abwiegen der Nahrung und konsequenter Zuführung von Ersatznahrungsmitteln bzw. substituierenden Produkten.
Die Compliance, sprich die Einsicht, das Einverständnis, die Kooperationsbereitschaft und auch die Motivation eines Patienten spielt zu jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung bei allen Stoffwechselstörungen die entscheidende Rolle bezüglich seines Outcomes. Patienten, die eine mangelhafte oder keine Compliance zeigen, drohen in der Folge schwere Stoffwechselentgleisungen zu erleiden mit langfristigen und irreversiblen sowie kostenintensiven Folgeschäden (z.B. Entwicklungsstörungen, Hirnschädigungen, epileptische Anfälle, Energiemangel, Koma).
Compliance und selbständiges Krankheitsmanagement ist von frühester Kindheit an sowohl innerfamiliär (am gemeinsamen Essenstisch mit Eltern und Geschwistern) wie auch außerhalb der Familie (z.B. wenn Kinder eine Kita besuchen und dort ihre lebenswichtige Diät einhalten müssen, aber auch Spielplätze, Kindergeburtstage und Schulmensa) zwingend notwendig. Aufklärung, Wissen und Verständnis über die veränderte Stoffwechselsituation des eigenen Körpers und die im Krankheitsmanagement notwendigen Behandlungsmaßnahmen und –schritte sind Voraussetzung für eine stabile Compliance.
Es hat sich im Laufe der Jahre gezeigt, dass für die Eltern chronisch kranker Kinder die Frage nach dem Zeitpunkt und der Art der Aufklärung ihres Kindes über seine Erkrankung und die Vermittlung der notwendigen therapeutischen Maßnahmen sehr schwierig ist und diesbezüglich sehr viel Unsicherheit herrscht. Da Stoffwechselerkrankungen zu den extrem seltenen Erkrankungen gehören, gibt es für die wenigsten von ihnen kindgerechtes Aufklärungsmaterial, das anschaulich die Erkrankung erklärt und die notwendigen therapeutischen Maßnahmen bildlich darstellt. Somit sind die Eltern im Familienalltag hierin bislang auf sich und ihr eigenes Verständnis der Erkrankung gestellt, ihre Kinder aufzuklären und ihnen die Erkrankung und ihre Folgen zu erklären. Nicht selten nehmen Kinder die Ambulanztermine als etwas wahr, dass nicht sie, sondern ausschließlich ihrer Eltern und die Ärzte betrifft und häufig verstehen sie bis weit in das jugendliche Alter hinein nicht, was mit ihrem Körper eigentlich „nicht stimmt“. Jugendliche, und hierin unterscheiden sich chronisch kranke nicht von anderen Jugendlichen, zeigen entwicklungsbedingt ein gesteigertes Bedürfnis nach vermehrter Unabhängigkeit von Erwachsenen und Autonomie sowie entwicklungsspezifischer Impulsivität und Sprunghaftigkeit. Die Behandlung ihrer Erkrankung erfordert jedoch im Gegenzug hierzu eine Verpflichtung zu Therapiedisziplin und nicht selten eine verlängerte Abhängigkeit von Eltern und medizinischen Einrichtung.
Wenn chronisch kranke Kinder in die Pubertät kommen, ist dementsprechend nicht selten zu beobachten, dass sie die in diesem Lebensabschnitt notwendigen Autonomiebestrebungen insbesondere über die (Nicht-) Compliance in der Behandlung ihrer Erkrankung ausleben und hierdurch ein hohes Risiko eingehen, durch die Gefahr von Stoffwechselentgleisungen langfristige, auch zerebrale Schäden zu erleiden. Es hat sich zudem gezeigt, dass den sehr eng und teilweise „überprotektiv“ betreuten chronisch kranken jungen Patienten der Wechsel in die durch Autonomie und Übernahme von Eigenverantwortung geprägte Erwachsenenmedizin häufig große Probleme bereitet und sie nicht selten nicht in der Erwachsenenmedizin „ankommen“, da sie diesen abrupten Wechsel nicht meistern können.
Projektziel
Hieraus wird ersichtlich, dass die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Stoffwechselerkrankungen ein Behandlungskonzept erfordert, dass von Anfang an auf Aufklärung, Selbstmanagement und Empowerment setzt. Dabei ist es wichtig, das Kind gezielt zu unterstützen, aus der defizitorientierten, passiven Haltung in die aktive Rolle als Experte seiner Erkrankung zu finden. Hierzu bedarf es einer frühen Aufklärung, einer schrittweisen altersentsprechenden Miteinbeziehung und Anleitung zum eigenverantwortlichen Krankheitsmanagement sowie einer zunehmenden Verantwortungsübergabe.
Um dies gewährleisten zu können, braucht es dringend Informations- und Aufklärungsmaterial, mit dem sich der Patient von Anfang an und über die Jahre hinweg immer wieder entsprechend seiner Entwicklung altersgerecht auseinandersetzen kann. Dabei unterscheiden sich die Bedürfnisse von Kleinkindern, Grundschulkindern und Jugendlichen natürlich immens. Während der Bedarf bei Kleinkindern die Aufklärung eher einfach, narrativ und spielorientiert ausgerichtet sein muss, kann er bei Grundschulkindern bereits komplexere Inhalte und therapeutische Handlungswege aufzeigen. Jugendliche dagegen wollen unter Einbindung der neuen technischen Möglichkeiten geführt und behandelt werden. Hier spielen eher selbständige Internetrecherche, Blogs, Foren und Apps eine wichtige Rolle. Ziel ist die erlebte Selbstwirksamkeit und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, so dass letztlich die Selbstsicherheit und das Selbstbewusstsein gefördert wird.
Die Initiierung und dauerhafte Implementierung von eigenverantwortlichem Krankheitsmanagement und Empowerment des chronisch kranken Stoffwechselpatienten von früher Kindheit an durch kindgerechtes Informations- und Aufklärungsmaterial ist das Ziel dieses Projektes. Eine gezielte Aufklärung dient der Gesundheitsprävention, erhöht die Lebensqualität der Patienten und Angehörigen und vermeidet darüber hinaus kostenintensive Behandlungen durch Folgeerkrankungen.
Projektergebnis
Die wesentlichen Themenbereiche, über die Kinder und Jugendliche aufgeklärt werden sollten, wurden identifiziert. Daraus konnten Ziele formuliert werden, wie das zu entwickelnde Aufklärungsmaterial gestaltet sein soll, damit es die Stoffwechselpatienten möglichst gut erreicht.
Die Erstellung von Aufklärungsmaterial für Kinder und Jugendliche mit chronischen Krankheiten wurde entsprechend für die jeweilige Zielgruppe erfolgreich umgesetzt. Es wurde ein Brettspiel, ein Animationsfilm mit wiederkehrenden Figuren aus dem Brettspiel und eine App entwickelt.
So werden die Kinder und Jugendliche nicht nur über ihre Erkrankung aufgeklärt, sondern sie können sich jederzeit mit Informationen versorgen, können eigenständig Krankenmanagement betreiben und können beispielsweise Arzttermine und Medikamenteneinnahme verwalten und Ernährungsprotokolle spielerisch führen.
Alle erstellten Materialien wurden einer Evaluierung unterzogen. Durch die bereits stattgefundenen Testings kann abschließend festgehalten werden, dass sich die erarbeiteten Anwendungen in der Realität als funktional erwiesen haben und Kindern und Jugendlichen mit chronischen Stoffwechselkrankheiten die Möglichkeit bieten, sich auf positive und spielerische Weise mit ihrer Krankheit auseinanderzusetzen.
Projektinformationen
Partner: SRH Berlin University of Applied Sciences, Berlin School of Popular Arts und Charité – Universitätsmedizin Berlin
Förderung: 2022-2023 – Projektförderung abgeschlossen